DIE LIEBMANN BRAUEREI IN NEW YORK
und ihre Beziehung zu den Familien Schülein und Steiner, erstmals öffentlich vorgetragen in der ehemaligen
Synagoge Bopfingen-Oberdorf am 10.05.2000 von Rolf Hofmann, Stuttgart
PROLOG
Es wird im Rahmen dieses Referats die Rede sein von der Biermarke „Rheingold“, von der atemberaubend
schnell wachsenden Liebmann Brauerei in Brooklyn (New York), vom Münchner Unionsbräu und Löwenbräu
und dann von der Brauereifamilie Schülein, von einem der weltgrössten Hopfenhändler Samuel Simon Steiner in
New York und zuletzt dann noch von der Brauerei Kaltenberg mit ihrem „König Ludwig Dunkel“ Bier und den
mittelalterlichen Ritterspielen.
Diese inzwischen Legende gewordene Brauereigeschichte in all ihrer bunten Vielfalt ist eines der wichtigsten
Forschungsergebnisse von "Harburg Project", einem lokalgeschichtlichen Forschungsprojekt, das seine Anfänge
in der seinerzeit spektakulären kulturellen Nutzung der ehemaligen Harburger Synagoge (südöstlich der alten
Reichsstadt Nördlingen) 1989 – 1992/93 hatte. Das nachfolgende Referat schildert episodenhaft die oftmals
märchenhaft klingende Geschichte der Liebmann Brauerei im New Yorker Stadtteil Brooklyn. "Harburg Project"
bemüht sich Vergangenes vor dem Vergessen zu bewahren, und so erinnert auch die Liebmann Story an
vergangenes Geschehen, von dem heute in Brooklyn kaum mehr noch übriggeblieben ist als öde gähnende Leere
in einem heruntergekommenen Gebiet, das man zu Fuss besser nicht mehr betreten sollte.
URSPRUNG IN AUFHAUSEN
Ausgangspunkt dieser geradezu traumhaft anmutenden Familiengeschichte ist der kleine Ort Aufhausen, am
westlichen Rand des Nördlinger Rieses gelegen, unweit der ehemaligen freien Reichsstadt Bopfingen. Die
Vorfahren der Familie Liebmann mögen irgendwann einmal im 18. Jahrhundert von der nahen herrschaftlichen
Residenz Wallerstein her zugewandert sein, so genau ist das bislang jedoch nicht zu belegen. Erste konkrete
Aussagen lassen sich über Joseph Liebmann machen, der um 1785 seine Gattin Frummet geborene Fröhlich aus
Aufhausen ehelichte und seine Familie als Handelsmann und jüdischer Religionslehrer ernährte. Sechs Kinder
sind aus dieser Ehe bekannt, die sicherlich in frommer Tradition gelebt haben dürfte. Zwei Indizien sprechen
dafür. Der Sohn Leopold besuchte die Talmudschule in Oettingen, ging dann ans Lehrerseminar nach Esslingen,
wurde anschliessend Lehrer an der dortigen Israelitischen Volksschule und später Hausvater des Israelitischen
Waisenhauses „Wilhelmspflege“ (benannt nach König Wilhelm I von Württemberg) und zu guter letzt dann
auch Vorsänger der Jüdischen Gemeinde in Esslingen. Weiter in religiöser Hinsicht bemerkenswert ist Leopolds
älterer Bruder Samuel Liebmann, der um 1799 geboren wurde und mit 29 Jahren Sara Selz aus Harburg
(südöstlich von Nördlingen) heiratete, die Schwester des nachmaligen Harburger Bezirksrabbiners Elkan Selz.
An dieser Stelle sei eine kurze Betrachtung zu den Rabbinaten in Nordschwaben erlaubt. Zu jener Zeit als
Leopold Liebmann die Talmudschule in Oettingen unter dem hochverehrten Rabbiner Pinchas Jakob
Katzenellenbogen besuchte, war das Landrabbinat Wallerstein vakant (nachdem Ascher Löw um 1809 nach
Karlsruhe berufen worden war) und das Rabbinat Oberdorf kam erst 1828 zur Entstehung. Demnach war für das
württembergische Aufhausen die nächstgelegene Talmudschule beim bayerischen Landrabbinat in Oettingen die
erste Wahl, wohl auch wegen des guten Rufes des dortigen Rabbiners.
Stammvater der Brauereigeschichte ist jener vorerwähnte Samuel Liebmann (also der ältere Bruder des
Talmudstudenten), der im Aufhausener Familienregister noch als „Lackierer“ eingetragen ist. Im Gegensatz zum
18. Jahrhundert hatten nun im frühen 19. Jahrhundert Juden endlich auch die Möglichkeit zur Erlernung
handwerklicher Berufe. Die Neuordnung Europas unter dem Gedanken der Aufklärung, und nicht zuletzt der
Einfluss Napoleons, machte dies möglich. Um 1810 hatten sich die von Napoleons Gnaden gegründeten
Königreiche Bayern und Württemberg etabliert, die historische Grafschaft Oettingen war zerschlagen, der
östliche Teil (mit Wallerstein, Oettingen, Harburg, etc) gehörte nun zu Bayern, der westliche Teil (mit
Aufhausen, Oberdorf, Pflaumloch, etc) zu Württemberg.
AUFBRUCH ZU NEUEN UFERN
Samuel Liebmann nutzte die Gunst der neuen Zeit. Aufhausen schien ihm keine vielversprechende Zukunft mehr
zu bieten. Sein Vater, ein hochangesehener Schriftgelehrter, hatte ihm eine sorgfältige Erziehung angedeihen
lassen und ihn für den Handelsberuf bestimmt. Dies widerstrebte dem jungen Samuel Liebmann, der sich lieber
der Landwirtschaft und Bierbrauerei widmen wollte. 1830 erwarb jener zusammen mit seinem Bruder Heinrich
das Schlossgut Schmiedelfeld (nördlich von Schwäbisch Gmünd), ein ehemaliges aber inzwischen herunter
gekommenes Rittergut, das die beiden neuen Besitzer jedoch tatkräftig umzutreiben verstanden, so dass es bald
als Mustergut neuzeitlicher Oekonomie galt. Um 1840 zog Samuel Liebmann dann jedoch weiter nach
Ludwigsburg, wohl auch wegen der dort besseren Ausbildungsmöglichkeiten für seine Söhne.
DIE ZEIT IN LUDWIGSBURG
Samuel Liebmann erwarb in Ludwigsburg das Gasthaus „Zum Stern“ in der See Strasse 9 zusammen mit der
dazu gehörigen Brauerei. In den 40er Jahren nahm Liebmann am gewerblichen und wissenschaftlichen Leben in
Ludwigsburg regen Anteil und war für die Israelitische Gemeinde dort eine Autorität, deren Rat man einholte.
Im Geist und Grundsatz Republikaner, erblickte Samuel Liebmann in der freiheitlichen Bewegung der 40er Jahre
einen Ausdruck seiner eigenen Ideale. Sein Haus wurde bald Mittelpunkt "republikanischer Propaganda", zu der
auch ein grosser Teil des Militärs der Ludwigsburger Garnison gehörte. Demzufolge war er zahlreichen
obrigkeitlichen Schikanen (bis zum Lokalverbot der Soldaten) ausgesetzt, die ihn dann letztlich 1850 zur
Auswanderung nach Amerika veranlassten.
DIE BRAUEREI IN BROOKLYN
Samuel Liebmann sandte zunächst seinen ältesten Sohn Joseph voraus, der auch nach kurzer Zeit eine kleine
Brauerei erwarb und den Rest der Familie nachholte. In New York wurde damals viel Bier gebraut, aber der
Absatz des Göttertranks war nicht leicht, denn es gab damals fast mehr Brauer als Biertrinker. Bereits ein Jahr
später errichteten die Liebmanns dann in Brooklyn an der Forest Street und Bremen Street eine neue grössere
Anlage als Beginn des wirtschaftlichen Aufstiegs der Liebmann Brauerei. Brooklyn war damals noch nicht Teil
von New York, sondern eine selbständige Stadt. Die Vereinigung mit New
York kam erst 1898 und gereichte nicht zum erhofften (und
versprochenen) wirtschaftlichen Aufstieg Brooklyns. Das Liebmann’sche
Anwesen entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer der grössten
neuzeitlich eingerichteten Brauereien im Grossraum New York. Die
Liebmanns bemühten sich auch um städtebauliche und soziale Belange
ihrer Nachbarschaft, sie legten Strassenzüge an, bebauten sie mit
Wohnhäusern und sorgten für zeitgemässe Kanalisation. Als der Vater
Samuel Liebmann 1872 starb, waren seine Söhne Joseph, Henry und
Charles längst die treibende Kraft in der Brauerei geworden. Henry war
der eigentliche Brauexperte, Joseph kümmerte sich genial um die Finanzen und Charles war der Ingenieur und
Architekt des Unternehmens. Die gesellschaftliche Bedeutung der drei Liebmann Brüder mag exemplarisch
anhand des Nachrufs in der Ludwigsburger Zeitung anlässlich des Todes von Joseph Liebmann im Jahre 1913
aufgezeigt werden. Betont wurde sein grosses aktives Interesse am allgemeinen Wohl, seine Ämter als Präsident
in verschiedenen Institutionen. 1876 war er auf der Weltausstellung in Philadelphia Kommissar für die
Sonderausstellung des Brauereigewerbes gewesen, eine ähnliche Rolle spielte er dann anlässlich der Ausstellung
in Chicago 1893. Der Nachruf damals hob noch hervor, dass Joseph Liebmann auch seiner alten Heimat
lebenslang verbunden blieb, dies zum Beispiel auch als Mitglied des „Deutschen Liederkranzes“ in New York.
VOR DEM 1. WELTKRIEG
Auch die nächste Generation (Enkel des Firmengründers Samuel
Liebmann) nahm aktiv Teil am Firmengeschehen. Jeder der drei Brüder,
Joseph, Henry und Charles, brachte wiederum zwei Söhne ins
Management der Brauerei. Von besonderer Bedeutung war 1903 die
Entscheidung dieser drei Brüder zum gemeinsamen Rücktritt aus ihren
Positionen und dem aktiven Geschäft generell. Ersatzweise traten nun
jeweils zwei Söhne an deren Stelle. So wurde die Liebmann Brauerei
dann in der dritten Generation von sechs Familienmitgliedern geleitet.
Eines der Geheimnisse des unternehmerischen Erfolgs der Brauerei
bestand wohl darin, dass sich alle Liebmann Direktoren zu gegenseitiger
Komunikation verpflichteten, um Probleme anzusprechen, bevor sie
überhaupt erst entstehen konnten. Die sechs Enkel des Firmengründers
Henry Liebmann (in der Mitte mit
Bart) und seine Familie
Liebmann’sches Anwesen in
Brooklyn
trafen sich hierzu jeden Tag zum Mittagessen und verbanden somit das Angenehme mit dem Nützlichen. Der
Bierausstoss wuchs unaufhörlich von 1.000 Barrels im Jahre 1854 auf die gewaltige Menge von 700.000 Barrels
und mehr.
DER HOPFENHÄNDLER S. S. STEINER
Voraussetzung für gutes Bier war alle Zeit schon immer eine erstklassige Hopfenqualität, und die gab es damals
vornehmlich in Deutschland. So lag es nahe, dass die Liebmann Brauerei bereits frühzeitig eine enge Bindung zu
einem erstrangigen Hopfenlieferanten suchte, und was war enger als die Bindung durch eine Hochzeit? So
heiratete Joseph Liebmanns Tochter Sadie im Jahre 1895 den Hopfenhändler Samuel Simon Steiner, der aus
Laupheim bei Ulm stammte, sich 1886 in New York mit einem selbständigen Zweig des Laupheimer
Stammhauses niedergelassen hatte und somit eine ideale Ergänzung zur Förderung der Geschäfte in
Nordamerika geschaffen hatte. Der Steiner’sche Hopfenhandel gehört seither zu den bedeutendsten
Unternehmen dieser Art weltweit, weiterhin mit Hauptsitz in New York. Somit besteht diese Firma nunmehr
über 150 Jahre, seit Samuel Simon Steiners Vater Simon Steiner zusammen mit dem Grossvater Heinrich Steiner
das Unternehmen 1845 in Laupheim begründeten. Das Museum dort im Schloss bewahrt auch heute noch eine
ehrende Erinnerung an diese Familie.
PROHIBITION UND „BEER IS BACK”
Ein grosses Problem für die weitere Existenz der Liebmann Brauerei war dann der 1. Weltkrieg, der das
Deutsche Reich an den Pranger stellte und letzten Endes auch in Amerika zu einer antideutschen Stimmung
führte. Nachdem die Liebmann Brauerei als „deutsch“ galt, war der Boykott derselben ganz zwangsläufig. Hinzu
kam 1920 in konsequent puritanischer Gesinnung die „Prohibition“, also das Verbot der Herstellung und des
Genusses von alkoholischen Getränken in den USA: Natürlich hielt sich kaum jemand dran, die Mafia machte
mit ihren effizienten Marketingmethoden Riesengeschäfte, und letzten Endes reizte auch damals Verbotenes um
so mehr. Man traf sich im „Speak Easy“ und genoss das Laster. Während dessen stieg die Liebmann Brauerei
auf Limonade um und auf „Near Beer“ , einem bierähnlichen Getränk, was keinem so recht munden wollte.
Ein gründlicher Wandel, nicht nur in den amerikanischen Trinkgewohnheiten, vollzog sich erst 13 Jahre später
als Franklin D. Roosevelt Präsident der Vereinigten Staaten werden wollte und dem Land einen „New Deal“
versprach, um die seit dem „Black Friday“ von 1929 bestehende wirtschaftliche Misere Amerikas zu beenden.
Im Deutschland der Weimarer Republik sahen die Verhältnisse damals auch nicht anders aus, Hitler wollte
Reichskanzler werden und die Verhältnisse zum Besseren wenden („Gebt mir 4 Jahre Zeit“). Interessant am
Wahlkampf Roosevelts war sein Versprechen der Legalisierung alkoholischer Getränke, er sah in der Förderung
dieses uralten Lasters der Menschheit wohl auch ein strategisches Element zur Hebung der staatswirtschaftlichen
Verhältnisse. (Übrigens, auch die Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1989 wurde erfolgreich nicht nur
mit Bananen sondern auch mit westdeutschem Bier gefördert). Und so hiess es denn nun endlich 1933 in
Amerika: „Beer is back“, was dann auch nochmals eine neue Chance für die Liebmann Brauerei bedeuten sollte
und einen Aufstieg in bisher ungeahnte Höhen.
UNIONSBRÄU UND JOSEPH SCHÜLEIN
Im Wirtschaftsgeschehen der Liebmann Brauerei sollte in den folgenden Jahrzehnten ein Mann eine alles
überragende Rolle spielen, der schon in Deutschland zu den ganz Grossen gehörte: Dr Hermann Schülein,
Generaldirektor des Münchner Löwenbräu, Mitglied einer hoch angesehenen jüdischen Familie in München,
deren Vorfahren aus Thalmässing in Franken stammten. Dr. Hermann Schüleins Vater, Joseph Schülein, fasste
im späten 19. Jahrhundert zunächst als Bankier Fuss in München und etablierte sich dann als erfolgreicher
Bierbrauer mit dem Erwerb der Unionsbrauerei und der Münchner Kindl Brauerei. Die vielen Biergärten und
Gastwirtschaften in München garantierten einen geradezu kometenhaften Aufstieg der Schülein’schen Brauerei,
die ganz bodenständig im heimischen Geschäft verankert war, im Gegensatz zum Löwenbräu, der auch den
Export sehr stark bediente. Joseph Schülein hatte ein Herz für Kinder, er war grosszügig, übernahm hunderte von
Patenschaften und galt im Volksmund als „König von Haidhausen“. Ein Strassenname im Münchner Stadtteil
Haidhausen erinnert auch heute noch an den Gönner von einst, wie auch der immer noch in alter Tradition
florierende gastronomische Betrieb des Uniosbräus am Max-Weber-Platz.
LÖWENBRÄU UND DR HERMANN SCHÜLEIN
Eine geradezu grandiose Sensation für die Münchner Bierwelt war dann 1920 die Fusion der Schülein’schen
Unionsbrauerei mit dem Löwenbräu unter Mitwirkung von Joseph Schüleins Sohn Hermann, der wenige Jahre
später schon zum Generaldirektor von Löwenbräu ernannt werden sollte. Die Schüleins waren bei den Arbeitern
beliebt, da sie sich auch um deren soziale und ganz persönliche Belange kümmerten. Dr Hermann Schülein hatte
einen ausgezeichneten Ruf, sodass er auch nach 1933 ungeschoren blieb, als der nun herrschende
Antisemitismus jüdische Existenzen zu vernichten begann und viele jüdische Familien in Verzweiflung und Not
trieb. Als die Verhältnisse zunehmend bedrohlicher wurden, emigrierte Dr Herrmann Schülein 1936 auf
Umwegen nach New York. Die Einwanderung war ihm durch die Bürgschaft des in diesem Referat bereits
erwähnten Hopfenhändlers Samuel Simon Steiner ermöglicht, der ihm auch den Zugang zur Liebmann Brauerei
vermittelte. Schülein sprach zu diesem Zeitpunkt kein Englisch, lernte jedoch verbissen monatelang Tag und
Nacht, bis er sich endlich geschäftsmässig in der ihm fremden Sprache ausdrücken konnte. Aufgrund seiner
erstklassigen Referenzen wurde Dr Hermann Schülein in das Direktorium der Liebmann Brauerei aufgenommen
und leitete zusammen mit Philip Liebmann (einem Urenkel des Firmengründers Samuel Liebmann) die
Geschicke dieses Unternehmens, das nun nochmals einen Jahrzehnte anhaltenden Aufschwung ungeahnten
Ausmasses nehmen sollte. In ihren besten Zeiten in den 50er und 60er Jahren hatte die Liebmann Brauerei einen
Bierausstoss erwirtschaftet, der zehnmal (!) so hoch war wie der Ausstoss der Münchner Löwenbrauerei damals.
Wesentliches Geheimnis dieser erfolgreichen Marketingstrategie war die Liebmann’sche Biermarke „Rheingold“
und die jährliche „Miss Rheingold“ Wahl.
RHEINGOLD BEER
An die 30 Jahre lang war „Rheingold“ das meist gefragte Bier
im Grossraum New York, bis dann im Jahre 1976 die Brauerei
endgültig ihre Pforten schloss. Von da an wurde der Biermarkt
in den USA von den ganz grossen Brauereien wie Anheuser &
Busch, Miller sowie Schlitz dominiert, mit deren alles
beherrschenden nationaler Marketingstrategie die relativ
kleinen Regionalbrauereien nicht mehr mithalten konnten.
Man sagt, der Markenname „Rheingold“ sei 1883 anlässlich
eines Dinners in der Brauerei nach einer Aufführung am
Metropolitan Opera House entstanden, als der hierzu
eingeladene Orchesterdirigent dieses Opernabends sein
Bierglas ans Licht hielt und spontan ausrief: „Was für eine wunderschöne Farbe dieses Bier doch hat – die Farbe
des Rheingolds“.
Als Dr Hermann Schülein Ende der 30er Jahre die Geschicke der Liebmann Brauerei wesentlich zu gestalten
begann, präsentierte er der Öffentlichkeit ein herb trockenes Lagerbier von europäischem Charakter, an dem
auch die Amerikaner Gefallen fanden. Das Bier schmeckte grossartig und war bald „in aller Munde“, nicht
zuletzt wegen eines Werbesongs, der Tag und Nacht aus den Radios plärrte: „My beer is Rheingold, the dry beer
– Think of Rheingold, whenever you buy beer“. Mit grossen Anzeigenkampagnen wurden Zeitungen und
Magazine zugepflastert. Fotos der gerade „regierenden“ Miss Rheingold waren überall in den U-Bahnen und auf
den Plakatwänden im Grossraum New York.
MISS RHEINGOLD
Die alljährlich stattfindende Wahl der „Miss Rheingold“ war begleitet von
heute geradezu unverstellbarer Popularität. Bis zu 25 Millionen (!) Wähler
beteiligten sich hierbei. Nur zur Wahl des amerikanischen
Staatspräsidenten gingen noch mehr Wähler zu den Urnen. Die netten
jungen Damen von einst mit ihren adrett dezenten Kleidchen, dem immer
strahlenden Gesicht mit vom Lippenstift verwöhnten Lippen mögen heute
etwas bieder wirken, und mit Sicherheit waren sie dies auch. Aber sie
entsprachen ganz dem Geschmack jener Zeit, liebenswert, häuslich und
umgänglich. Eigentlich wünschte sich jede amerikanische Mutter so ein
„Girl“ zur Schwiegertochter. Grosse Reichtümer waren mit der „Miss
Rheingold“ Wahl allerdings nicht verbunden. Es gab Zuwendungen aller
Art in materiell bescheidenem Rahmen, Einladungen zu Festlichkeiten,
auch mal ein Jobangebot oder ein Heiratsantrag. Verglichen mit dem
Starrummel heutiger Zeit war die ganze Miss Rheingold Aktion eigentlich
recht bescheiden, wurde aber vielleicht auch gerade deshalb von den
Massen getragen und hat allen Beteiligten Spass gemacht. Spricht man heute ältere New Yorker auf das
„Rheingold Beer“ an, so erinnern sich eigentlich Alle recht gern und gut an dieses Bier mit seinem Rummel um
die „Miss Rheingold“. Es waren irgendwie doch schon „die guten alten Zeiten“, die 40er, 50er und 60er Jahre.
Wahl der Miss Rheinhold 1958
ABGESANG AUF GROSSE ZEITEN
Der Markenname „Rheingold“ blieb auch nach dem Untergang der Liebmann Brauerei bis heute noch im Besitz
wechselnder Grossunternehmen der amerikanischen Getränkeindustrie. Erst kürzlich (1999) hat ein Nachkomme
der Familie Liebmann (Walter „Terry“ Liebmann, ein Urenkel des Firmengründers Samuel Liebmann) ein gross
angelegtes Comeback mit der Rheingold Brewing Company in White Plains (im Staat New York) versucht. Man
sagt inzwischen, dass es dem Unternehmen gelungen sei auf dem Markt ausreichend erfolgreich Fuss zu fassen.
Auch war das Datum dieses Versuchs der Wiederbelebung einer einst ruhmreichen Biermarke bemerkenswert.
Es war, bewusst oder unbewusst, ein Geschenk zum 200.Geburtstag des einstigen Firmengründers Samuel
Liebmann, der 1799 in dem kleinen nordschwäbischen Dorf Aufhausen geboren wurde, das damals noch zum
Herrschaftsbereich Seiner Durchlaucht Kraft Ernst Fürst zu Oettingen-Wallerstein gehörte.
SCHLOSS KALTENBERG UND GEHEIMRAT SCHÜLEIN
Nachdem im Rahmen dieses Referats bereits ausführlich über die bedeutende Rolle von Dr Hermann Schülein
bei der Vermarktung von Rheingold Bier berichtet wurde, soll zum Abschluss dieser geradezu märchenhaft
anmutenden Bierbrauer Saga auch noch von Schloss Kaltenberg die Rede sein und dem Lebensabend von
Geheimrat Joseph Schülein, dem Vater von Dr. Hermann Schülein. Bereits zum Ende des 1. Weltkriegs, als die
Fusion zwischen Unionsbräu und Löwenbräu immer wahrscheinlicher wurde, erwarb Joseph Schülein das
Schloss Kaltenberg (östlich von Landsberg/Lech) mit seiner seit 1870 existierenden Brauerei und seinem dazu
gehörigen landwirtschaftlichen Gut. Joseph Schülein genoss das neue Leben als Oekonom mit seinen Wiesen
und Feldern und seinen Tieren. Er betrieb eine kleine Milchwirtschaft, hatte auch Rinder und Schafe und einen
Torfstich in der alten Hofmark Emming (seit Ende des 19. Jahrhundert hatten sich dort die Benediktinermönche
von St. Ottilien angesiedelt). Man sagt, dass Torf aus dem Emminger Moos auch bei der Knappheit der Energie
nach dem 1. Weltkrieg eine Rolle bei der Versorgung der Münchner Löwenbrauerei mit Brennstoff gespielt
habe. Jedenfalls behielt Joseph Schülein nach der Fusion zwischen Unionsbräu und Löwenbräu sein Schlossgut
Kaltenberg für sich selbst. Als Patriarch und Gutsherr sorgte er sich intensiv um die Förderung der Ergebnisse in
der dortigen Agrar- und Brauereiwirtschaft. Er galt für den Ort Kaltenberg als beliebter und notwendiger
Arbeitgeber zusammen mit seinem Geschäftspartner und Sohn Dr Fritz Schülein. Als Joseph Schülein 1938
starb, begleiteten viele Kaltenberger ihren „Geheimrat“ zur Beerdigung auf den Neuen Israelitischen Friedhof im
München Norden.
VON DEN SCHÜLEINS ZUM HAUS WITTELSBACH
Die Jahre zuvor waren unter der nationalsozialistischen Regierung auch für die Familie Schülein auf Schloss
Kaltenberg immer kritischer geworden. Joseph Schülein soll einmal in weiser Voraussicht gesagt haben: „ Den
Hitler holt der Teufel, und wir zahlen den Fuhrlohn“. Nach Joseph Schülein’s Tod wurden die Zeiten für seinen
Sohn Dr Fritz Schülein unerträglich. Nach kurzer „Schutzhaft“ im Konzentrationslager Dachau floh er Hals über
Kopf nach Amerika zu seinem Bruder Dr Hermann Schülein. Das Schlossgut Kaltenberg mit seiner Brauerei
Oekonomie wurde der Regierung von Oberbayern unterstellt und erst 1949 wieder an die Familie Schülein
zurückgegeben. Mitte der 50er Jahre beendeten die Schüleins ihr Engagement in Kaltenberg. Neuer Eigentümer
wurde das Haus Wittelsbach. Heute ist Schloss Kaltenberg mit seinen mittelalterlichen Ritterspielen und seinem
vorzüglichen Bier „König Ludwig Dunkel“ unter dem tatkräftigen und kreativen Management Seiner
Königlichen Hoheit Prinz Luitpold von Bayern zu einer Kultstätte von internationalem Rang geworden.
Und so vergeht die Zeit und die Erinnerung verblasst. Damit nicht Alles dem Vergessen anheim fällt, wurde
diese nun Legende gewordene Geschichte des Brauerei Imperiums der Familien Liebmann, Steiner und Schülein
erarbeitet. Dank dafür gehört insbesondere den Mitgliedern der betreffenden Familien, die mit ihren persönlichen
Erinnerungen sehr freigebig waren. Dank gebührt auch dem Münchner Löwenbräu und der Nürnberger
Hopfenhandlung Barth, ohne deren engagierte Mithilfe bestimmte notwendige Kontakte erst gar nicht zustande
gekommen wären. Und Dank gebührt nicht zuletzt auch Dr Joachim Hahn, der die Geschichte überhaupt erst ins
Rollen gebracht hat durch sein lesenswertes Buch über die Geschichte der jüdischen Familien in Ludwigsburg.